Demografie und Studien in DNEWS24
Das BSW wildert bei Linke und AfD
Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) dürfte nach aktuellen Umfragen nicht nur ins Europaparlament einziehen, sondern es hat auch Chancen, bei den anstehenden Landtagswahlen in Ostdeutschland die Fünf-Prozent-Hürde zu überspringen. Wer sind die Menschen, die das BSW wählen wollen? Wie sieht ihr soziodemografisches Profil aus? Und mit welchen Parteien haben sie bisher sympathisiert? Das untersucht eine neue Analyse des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung.
Die WSI-Forscher Dr. Daniel Seikel und Dr. Helge Emmler haben Daten aus der jüngsten Welle der Erwerbspersonenbefragung ausgewertet, bei der im November 2023 rund 4000 Erwerbstätige und Arbeitsuchende befragt wurden, und die eine erste Analyse des Potenzials der neu gegründeten Partei erlauben. Das Ergebnis: Das BSW ist vor allem bei Erwerbspersonen beliebt, die bei der Bundestagswahl 2021 der Linken und der AfD ihre Stimme gaben. Die zahlenmäßig größte Gruppe kommt gleichwohl von Erwerbspersonen, die bei der vorigen Bundestagswahl SPD gewählt haben. Das liegt aber vor allem daran, dass 2021 vergleichsweise viele Menschen der SPD ihre Stimme gaben, das Interesse am BSW ist dort eher durchschnittlich. Generell weisen Personen mit geringem Einkommen, ohne finanzielle Rücklagen, mit großen Sorgen und Belastungen und geringem Vertrauen in Institutionen eine vergleichsweise hohe BSW-Wahlneigung auf. Zudem geben Ostdeutsche häufiger als Westdeutsche an, das BSW wählen zu wollen, auch Wahlberechtigte mit Migrationserfahrung sind überdurchschnittlich vertreten. Der Unterschied zwischen Männern und Frauen ist gering.
Die Forscher untersuchten zunächst, wie sich das BSW in der deutschen Parteienlandschaft verortet. Auf der Grundlage der bisher veröffentlichten Programme identifizieren sie fünf markante Positionen: eine wirtschafts- und sozialpolitische Programmatik, die sich links der Mitte verorten lässt, eine restriktive Position in der Migrationspolitik, eine integrationskritische Ausrichtung in der Europapolitik, die Ablehnung eines sogenannten „Öko-Aktivismus“ sowie die Ablehnung militärischer Lösungen und Sanktionen, verbunden mit der Forderung nach einer „friedensorientierten“ Entspannungspolitik. „Das BSW versucht einerseits gesellschaftspolitisch konservative bis deutlich rechte Haltungen zu mobilisieren, während es anderseits denen politische Angebote macht, die sich mehr Verteilungsgerechtigkeit wünschen. Ob diese Strategie aufgeht, werden die kommenden Wahlen allerdings noch zeigen müssen“, ordnet Prof. Dr. Bettina Kohlrausch, wissenschaftliche Direktorin des WSI, die Ergebnisse ein.
Beliebt bei Wählenden von Die Linke und AfD
Das WSI hat im November 2023 rund 4000 Erwerbspersonen ab 16 Jahren online befragt. Dabei wurden die Teilnehmenden auch gefragt, ob sie sich allgemein vorstellen können, die Sahra-Wagenknecht-Partei zu wählen. Die Frage bezog sich also nicht auf eine konkrete Wahl in diesem Jahr, zudem ist die Stichprobe nicht repräsentativ für die Wahlbevölkerung, weil beispielsweise Rentnerinnen und Rentner nicht erfasst sind.
4,6 Prozent aller Befragten gaben an, dass sie die Partei auf jeden Fall wählen würden. Weitere 10,4 Prozent hielten es für wahrscheinlich. Zusammengenommen ziehen also 15 Prozent eine Wahl in Betracht. Dagegen würden 24,5 Prozent das BSW wahrscheinlich nicht wählen, weitere 60,5 Prozent auf keinen Fall.
Interessant ist ein Blick auf die Wechselbereitschaft derjenigen, die bei der letzten Bundestagswahl 2021 andere Parteien gewählt haben: Von den damaligen Wähler*innen der Linken gaben 38,9 Prozent und von denen der AfD 21,6 Prozent an, künftig auf jeden Fall oder wahrscheinlich für Wagenknechts Partei stimmen zu wollen (siehe auch Grafik 1 in der pdf-Version dieser PM; Link unten). Wähler*innen der SPD und der FDP wiesen in der WSI-Befragung eine leicht überdurchschnittliche, die der CDU/CSU eine deutlich unterdurchschnittliche BSW-Wahlneigung auf. Am niedrigsten war die Präferenz mit drei Prozent bei Wähler*innen der Grünen.
Da die Wählerschaften der etablierten Parteien unterschiedlich groß sind, sagt dies noch nichts über das Gewicht der jeweiligen Gruppen für das Wähler*innenpotenzial des BSW aus. So erhielt beispielsweise die SPD bei der letzten Bundestagswahl knapp 26 Prozent der Stimmen, die AfD etwas mehr als 10 Prozent. Berücksichtigt man dies, so zeigt sich, dass der größte Anteil der BSW-Sympathisant*innen mit 26,6 Prozent bei der letzten Bundestagswahl SPD gewählt hat, gefolgt von der FDP mit 16,9 Prozent, der Linken mit 12,8 Prozent, der AfD mit 11,7 Prozent und der CDU mit 11,2 Prozent. Bezugspunkt für die Gewichtung waren wohlgemerkt nicht aktuelle Umfragen, sondern die tatsächlichen Entscheidungen bei der letzten Bundestagswahl.
Das Wähler-Profil: Misstrauen und wirtschaftliche Benachteiligung
Im nächsten Schritt wurde untersucht, welche besonderen soziodemografischen, ökonomischen und psychosozialen Merkmale die potenziellen Wähler des BSW aufweisen. Auffällig ist, dass Befragte aus Ostdeutschland, Personen ohne Abitur, Arbeiter und Personen mit Migrationshintergrund deutlich überdurchschnittlich vertreten waren. So konnten sich 27 Prozent der ostdeutschen Befragten vorstellen, die Partei von Sahra Wagenknecht zu wählen, aber nur 13 Prozent der westdeutschen. Ebenso hängen ein geringes Einkommen, fehlende finanzielle Rücklagen, hohe Belastungen und wirtschaftliche Sorgen sowie geringes Vertrauen in Institutionen – insbesondere in die öffentlich-rechtlichen Medien und die Bundesregierung – mit einer erhöhten Neigung für das BSW zusammen (siehe auch Abbildung 2 in der pdf-Version).
So gaben 21 Prozent der Befragten mit einem Netto-Haushaltseinkommen von unter 1500 Euro pro Monat an, die Partei sicher oder wahrscheinlich zu wählen. Bei den Befragten mit einem Einkommen von über 3500 Euro waren es nur 11 Prozent. Für Befragte, die sich um den Klimawandel sorgen, war die neue Partei hingegen weniger interessant. „Es sind also vor allem ökonomisch schwächere Personen, die die wirtschaftliche Unsicherheit belastet und besorgt in die Zukunft schauen lässt und die – möglicherweise auch als Folge ihrer Sorgen und Belastungen – Institutionen misstrauisch beäugen, die sich dem BSW zuwenden könnten“, schreiben Emmler und Seikel. Ein Unterschied zwischen Frauen und Männern ist dabei nicht erkennbar. Auch scheint das Alter keine entscheidende Rolle zu spielen.
Die WSI-Wissenschaftler haben außerdem analysiert, worin sich die Sympathisant*innen unterscheiden, je nachdem, ob sie zuvor AfD oder SPD gewählt haben. Die wechselbereiten SPD-Wähler fühlen sich vor allem wirtschaftlich benachteiligt, kommen aus der Arbeiterschicht, berichten von großen wirtschaftlichen Sorgen oder haben sich von den öffentlich-rechtlichen Medien sowie der Bundesregierung entfremdet. Die SPD-Anhänger, die finanziell bessergestellt sind, weniger Ängste oder ein höheres Vertrauen in die Regierung haben, schließen dagegen eine Wahl des BSW häufig aus. Sie sind auch kulturell weniger konservativ eingestellt als diejenigen, die sich Wagenknecht zuwenden. „Diesen Befunden zufolge könnte das BSW bei zukünftigen Wahlen der SPD Teile ihrer Wählerschaft abspenstig machen, die eigentlich zur klassischen Klientel der SPD gehören“, so die Wissenschaftler.
Konkurrenz für AfD in Ostdeutschland
Vergleicht man die Sympathisant*innen von BSW und AfD, so zeigen sich tendenziell Gemeinsamkeiten im Hinblick auf Wohnort, Bildungsniveau, Einkommen, Belastungen und Sorgen sowie Vertrauen in Institutionen. Es gibt aber auch einige deutliche Unterschiede: Im Gegensatz zur AfD ist die potenzielle Wählerschaft des BSW alters- und geschlechtsspezifisch ausgewogen zusammengesetzt. Das BSW scheint Frauen stärker anzusprechen als die AfD. Außerdem ist der Anteil der Befragten mit Migrationshintergrund höher. Hinzu kommt, dass die Personen, die das BSW bevorzugen, ökonomisch weiter links und gesellschaftspolitisch etwas liberaler eingestellt sind als diejenigen, die AfD wählen.
„Unsere Befunde deuten darauf hin, dass das BSW der AfD gerade in ihren Hochburgen in Ostdeutschland Konkurrenz machen könnte und ihr hier vor allem die neu Hinzugekommenen und die Frauen in der Wählerschaft streitig machen könnte“, schreiben Emmler und Seikel. Gerade diejenigen, die sich erst vor kurzem der AfD zugewandt haben, könnten nun zum BSW wechseln, vor allem in Ostdeutschland. So geben beispielsweise rund 60 Prozent der seit der Bundestagswahl 2021 neu hinzugekommenen ostdeutschen AfD-Anhängerinnen und -Anhänger an, das BSW auf jeden Fall oder wahrscheinlich wählen zu wollen.
„Die Gründung des Bündnisses Sahra Wagenknecht ist Teil der massiven Umwälzungen der Parteienlandschaften, die sich in den letzten Jahren überall in Europa vollzogen haben, nicht zuletzt auch in Deutschland“, konstatieren die Wissenschaftler. Die Ergebnisse bestätigten frühere Analysen des WSI, aber auch andere internationale Vergleichsstudien: Ein entscheidender Grund, warum sich Menschen von etablierten Parteien abwenden, sei wirtschaftliche Benachteiligung. „Irgendwann entfremden sich die Verlierer des Wirtschaftssystems von den etablierten Parteien und wenden sich Herausfordererparteien zu, die versprechen, ihre Situation endlich zu verbessern.“
Bild: Benjamin Zibner, PFritz
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