Der Kommentar am Sonntag in DNEWS24.
Dem deutschen Volke. Gedankenmacher in DNEWS24
Das Reichstags-Gebäude soll geschützt werden – vor den Bürgern und mit viel Zeit und Geld. Schöner wird das Zentrum der deutschen Politik dadurch nicht.
Man mag es kaum glauben. Das einst größte Gebäude der Welt, Ende des 19. Jahrhunderts von Paul Wallot erbaut, stand einmal inmitten eines quirligen Viertels und hatte einen repräsentativen Vorplatz, den damals so genannten Königs-Platz. Vom Kaiser Wilhelm II. als „Schwatzbude“ diffamiert, war das riesige Gebäude Ausdruck des Drangs der Bürger auf mehr Einfluss auf die Politik des Wilhelminischen Reiches.
Am 9. November 1918 verkündete der SPD-Politiker Philipp Scheidemann von einem Fenster des Reichstages aus die Abdankung der Hohenzollern, das Ende der Monarchie und die neue Republik. Zeitgleich tat dies Karl Liebknecht beim Berliner Stadtschloss – schon damals standen die Ultralinken auf der falschen Seite.
Im Februar 1933 brannte der Plenarsaal des Reichstages aus. Umstritten bleibt bis heute, ob der niederländische Kommunist Marinus van der Lubbe als Einzeltäter den verheerenden Brand mutwillig legte oder ob er Hilfe von SA-Truppen hatte. Wie auch immer, die von Adolf Hitler geführte Regierung rekonstruierte den Plenarsaal nicht und die Abgeordneten nutzten auch die vielen unbeschädigten Teile des Reichstagsgebäudes nicht mehr. Nach der März-Wahl 1933 war der Reichstag nur noch ein akklamatorisches Auditorium der Reden Hitlers und tagte in der dem Königs-Platz gegenüber gelegenen Kroll-Oper, dort etwa, wo heute Olaf Scholz im Bundeskanzleramt wirkt.
Für die Neugestaltung Berlins sollte eine breite Nord-Süd-Achse entstehen, die etwas westlich des Reichstages auch den Tiergarten queren sollte. Ungefähr dort wird aktuell ein zweiter Nord-Süd-Tunnel der S-Bahn geplant, dessen Bau unglaublich aufwändig und teuer zu werden verspricht.
Am Ende des 2. Weltkrieges war das Gebäude des Reichstages hart umkämpftes Kriegsgebiet. SS- und HJ-Truppen hatten sich im Gebäude verschanzt und leisteten den anstürmenden Rotarmisten erbitterten Widerstand. Ikonisch ist das Foto, das einen Rotarmisten beim Hissen der Sowjet-Flagge auf dem Reichstag zeigt. Der Sowjet-Soldat trägt übrigens zwei Armband-Uhren am Hand-Gelenk…
Ernst Reuter, der legendäre Bürgermeister des freien Berlin nutzte den riesigen und leeren ehemaligen Königs-Platz 1948 für eine große Rede an die Berliner und die West-Alliierten, die in dem Satz gipfelte: „Völker, schaut auf diese Stadt!“.
Es folgte der Wiederaufbau des Reichstagsgebäudes, in dem gelegentlich auch Sitzungen des inzwischen in Bonn angesiedelten westdeutschen Parlamentes stattfanden.
In den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts fanden auf dem leeren Platz vor dem Reichstagsgebäude legendäre Rockkonzerte statt, sonst nutzten Hobby-Fußballer die große freie Fläche für ihr Spiel. Alles auf der Westseite, denn östlich des Gebäudes stand die Berliner Mauer und trennte die Stadt.
Am 3. Oktober 1990 fand in den Abendstunden das große Fest zur Wiedervereinigung Deutschlands statt. Auf den Stufen des Reichstages standen Helmut Kohl, Willy Brandt und Richard von Weizsäcker, und feierten mit hunderttausenden Berlinern das glückliche Ende der Friedlichen Revolution..
1995 verhüllten Christo und seine Frau Jeanne-Claude das riesige Gebäude und fast ein halbes Jahr staunten die Berliner und viele neugierige Bürger aus Deutschland und dem Ausland über die magische Wirkung dieses Kunst-Projektes.
Der britische Architekt Norman Foster baute den Reichstag ab 1995 um, die Besucher kennen vor allem die neue und begehbare Kuppel auf dem Dach des Reichstagsgebäudes, in dem seit 1999 wieder der Sitz des Bundestages ist.
Neben dem eigentlichen Reichstagsgebäude verfügt der Bundestag mittlerweile über eine Vielzahl weiterer Gebäude mit zehntausenden Quadratmetern Nutzfläche, in denen die Mitglieder des Bundestages, ihre Mitarbeiter sowie die Verwaltung des Hohen Hauses arbeiten.
Aktuelle Planungen der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben lassen nun aufhorchen. Das Reichstags-Gebäude soll nämlich von den Bürgern abgeschirmt werden. So soll ein riesiges Besucher- und Informationszentrum (BIZ) in einem Teil des Tiergartens entstehen, dessen Bäume dafür abgeholzt werden müssen. Direkt an der Scheidemannstraße am Reichstagsgebäude soll eine wuchtige Toiletten-Anlage errichtet werden. Ob das Gebäude des Besucherzentrums schön oder sogar repräsentativ ist, darüber lässt sich angesichts der bekannten Pläne wirklich streiten. Sicher ist jedenfalls, das BIZ wird richtig teuer.
Zusätzlich wird ein Sicherheitsbereich am Reichstagsgebäude errichtet. Der Sicherheitsbereich soll von zwei 55 Meter langen und 2,50 Meter hohen Zäunen an den beiden Seiten sowie einem Graben an der Frontseite markiert werden. Dieser Graben soll über eine Böschung 2,50 Meter in die Tiefe führen. Dort unten steht man dann vor einer steilen und unüberwindbaren Mauer.
Nach Recherchen der Berliner Zeitung haben die Planungen für das Besucherzentrum und den Sicherheitsbereich schon 2014 begonnen. Die Abschottung des Reichstagsgebäudes inklusive Besucherzentrum soll bis 2030 abgeschlossen sein und nach derzeitigem Stand unglaubliche 365 Millionen Euro kosten.
Statt Bürgernähe und „Dem deutschen Volke“ gilt dann die neue Sicherheitszone Bundestag – mit Graben wie bei einer mittelalterlichen Trutzburg und Sichtzäunen, die der Berliner Mauer ähneln.
Transparenz, Bescheidenheit, Freizügigkeit und Nahbarkeit sehen anders aus.
Bild: Alexandra Nicolae unsplash, DNEWS24
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Der Autor
Uwe-Matthias Müller ist Gründer und Vorstand des Bundesverband Initiative 50Plus, des Bundesverband Initiative 50Plus Austria und Sprecher des European Center of Competence for Demography.
Bis 1996 hat er mit seiner Frau und den beiden Töchtern in (West-)Berlin gelebt. Nach zwei Jahren im Ausland lebt er heute in Bayern.
Uwe-Matthias Müller kommt viel und gern nach Berlin. „Als Berliner auf Zeit geniesst man nur die Vorteile der Hauptstadt und kann die vielen Unzulänglichkeiten, unter denen die Bewohner täglich leiden, einfach ignorieren.“
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