Ausgehtipp in DNEWS24
„Kunst und Komposition zwischen Forschung und Fälschung“. Von Petra Fritz
Im Rahmen eines Gesprächskonzerts in Freiburg mit dem berühmten Maler und ehemaligen Kunstfälscher Wolfgang Beltracchi gingen die Komponisten und Professoren Johannes Menke (Prof. für historische Satzlehre/ Musiktheorie an der Schola Cantorum Basiliensis) und Johannes Schöllhorn (Prof. für Komposition an der HfM Freiburg) unter Moderation von Philipp Teriete (Prof. für Musiktheorie mit dem Schwerpunkt Jazz/ Pop an der HfM Freiburg) u.a. der Frage nach, welche Bedeutung Handwerk, Original, Fälschung und Forschung in der Musik und Kunst heute haben. Des weiteren welchen Stellenwert Musik und (Mal)Kunst jenseits von KI künftig noch haben werden. Trefflich begleitet wurden die Gespräche von echten und gefälschten Musikwerken sowie Improvisationen in verschiedenen Musikstilen von der Renaissance bis zum Jazz durch die vier Sänger der Schola Cantorum Basiliensis sowie den Pianisten Jean-Christophe Dijoux, Alfonso Gómez und Helmut Lörscher.
Der Wolfgang-Hoffmann Saal ist bis auf den letzten Platz gefüllt, als Moderator Philipp Teriete die drei Gäste des Abends vorstellt. Offensichtlich genieße nicht nur ich es, mich von Menschen inspirieren zu lassen, die sich durch seltene Fähigkeiten und eher unkonventionelle Lebensstile auszeichnen. Ohne Frage sind die Herren Professoren Menke und Schöllhorn Hochkaräter der Musiktheorie und Komposition, aber gefühlt sind die Leute vor allem wegen ihm: Wolfgang Beltracchi gekommen.
Dabei ist es keineswegs Sensationslust den ehemalig Verurteilten zu sehen, vielmehr die Suche nach dem Mensch Beltracchi verbunden mit einer gewissen Bewunderung für sein Fälscher-Handwerk, respektive Art der Fälscher-Kunst.
Nach nur wenigen Sätzen zeigt sich sein Charisma, ohne daß der Künstler wortgewaltig und ausschweifend Stellung zu den Fragen nimmt. Mag sein, daß es die Mischung aus seiner leicht nuscheligen Sprache mit westfälisch-rheinischem Akzent und dem verschmitzten Lächeln ist. Er weiß, wer er ist. Wenn er etwas bereue, dann nicht ein Bild eher mit der buchstäblich kleinen Unlauterkeit einer Signetfälschung aufgehört zu haben. Denn ein Bildfälscher – wie es immer behauptet wird – war er zu keinem Zeitpunkt. Er war kein Kopist. Er malte gekonnt im Stil der Alten Meister, d.h. er malte die „Lücken“ der Kunstgeschichte, also diejenigen Bilder, die die betreffenden Künstler zusätzlich skizziert oder gemalt hätten könnten und von der Kunstwelt allgemeinhin gerne als unbekannte oder verschollen geglaubte Werke bezeichnet werden. Der 1951 in Höxter geborene Maler und einstige Wahl-Freiburger Wolfgang Beltracchi wurde 2011 in einem der größten Kunstfälschungsprozesse wegen gewerbsmäßigen Betrugs zu sechs Jahren Haft verurteilt. Er hatte über Jahrzehnte hinweg geschätzt zwischen 150 und 200 Gemälde im Stil berühmter Maler wie zum Beispiel Max Ernst, Max Pechstein, Fernand Léger und Heinrich Campendonk gefälscht und damit auf dem Kunstmarkt schätzungsweise zwischen 16 und 50 Millionen Euro verdient.
Der „Mann mit dem Hut“, der häufig im „Edel-Hippie-Look“ auftritt, gleicht mit seinem langen weiß-blonden Haar selbst einer Renaissance-Figur – und so einem maßgeblichen Malstil. Bis er Anfang der 90-iger Jahre eine Familie gründete, waren – nach eigenem Bekunden – Sex, Drugs, Rock’n’Roll sein Lebensmotto. Finanziell immer klamm, aber immer gut drauf. Man hätte hin und wieder ja schließlich Geld gebraucht, um sich ein schönes Leben zu machen. Lange lebte er u.a. auf einem Landgut nahe Montpellier und wollte seinerzeit einen venezianischen Palazzo kaufen. Aktuell hat er sein Atelier in einem ehemaligen Ballhaus-Anbau eines Gasthauses in Meggen (nahe Luzern). Das klingt im Vergleich dazu bieder. Wer den Ort kennt weiß, daß dem aber nicht so ist.
Techniken und Ausprägungen einer Fälschung
„Wer sich mit den Themen Handwerk, Technik und künstlerische Forschung auseinandersetzt, für den ist Wolfgang Beltracchi ein idealer Gesprächspartner“, so zurecht seine Gastgeber. Für seine Fälschungen musste er über viele Jahre hinweg künstlerische Forschung betreiben, d.h. er musste die Materialien und das Metier seiner jeweiligen Vorbilder perfekt beherrschen, ansonsten wäre er viel früher aufgeflogen.«
„Ein Experte ist nur so gut, wie der Fälscher schlecht ist“ so Beltracchi, wobei er für die Berufsgruppe der Gutachter meist nur ein verächtliches Lächeln hat.
Überführt wurde Beltracchi 2010 durch das Londoner Kunstanalyse-Unternehmen Art Analysis & Research. Bei einem seiner gefälschten Werke – „Rotes Bild mit Pferden“ – konnte dort moderne Farbe mit Titanoxid nachgewiesen werden, das zu der angegebenen Entstehungszeit der Bilder von Heinrich Campendonk noch nicht verwendet wurde. Beltracchi hatte entgegen seiner üblichen Vorgehensweise die Farben selbst anzumischen, eine fertige Tube Zinkweiß benutzt, das besagtes Titanweiß enthielt. Die Enttarnung Beltracchis löste zu Recht Unsicherheit auf dem Kunstmarkt aus.
Er erkenne übrigens auch ziemlich sicher andere Fälschungen. Man kennt sich und schweigt? Eine bemerkenswerte Aussage, die nicht nur an diesem Abend Raum für Spekulationen lässt. Auf das Schweigen der Gegenseite hätte er sich immer verlassen können. Denn im Gegensatz zu anderen Straftaten, hat hier selbst der vermeintlich Geschädigte (Sammler oder Museen) seltenst ein Interesse daran, dass ein gefälschtes Werk entdeckt wird. Offensichtlich möchte niemand diesen Wert- und Imageverlust offenbaren oder verantworten. Mithin ist unbekannt bzw. weiß nur ER, wie viele seiner Werke ….? Nun ja, er habe schon welche hängen sehen. Er weiß um den Effekt dieser Worte und lehnt sich nach einem Schluck Wasser wieder gelassen zurück.
Seine Fans und das Publikum werden nicht enttäuscht. Lässig und offen erzählt Beltracchi, geb. Fischer (er nahm nach der Hochzeit 1993 den Namen seiner Frau Helene an) aus seinem Leben. Sein Vater sei Kirchenmaler und Restaurator gewesen. Fast jeden Nachmittag ging er gemeinsam mit ihm „zur Arbeit“ in Kirchen und Werkstätten. Hunderte von Bildern gingen schon als Jugendlicher durch seine Hände. Bereits nach kurzer Zeit hätte er schon am Rahmen, dem Geruch oder Gewicht eines Bildes den Maler und die Entstehungszeit nennen können. Ein Handwerk ordentlich zu erlernen sei bei allem Talent jedoch essentiell. Man müsse lernen zu verstehen, was eine bestimmte Handschrift im Sinne eines Pinselstriches auszeichnet … ja es mache so gar einen Unterschied, ob ein Bild von einem Rechts- oder Linkshänder gemalt werde.
Kein Wunder, dass ihm bereits kurz nach seiner Entlassung diverse Universitäten (u.a. St. Petersburg) einen Lehrstuhl angeboten hatten. Dafür habe er jedoch keine Zeit. Zudem frage er sich, was man jungen Leuten heute raten sollte, wo jedes „Hingeschmiere“, wenn es nur von einem „Möchtegern“ gelobt werde – zum hochpreisigen Kultobjekt werde. Bei Musik könne man Fehltöne aufgrund schlechter Instrumententechnik oder unrunder Komposition viel leichter hören.
Heute bzw. seit 2020 widmet er sich u.a. der NFT Kunst. NFT steht für „Non-fungible Token“, was übersetzt so viel wie „nicht-ersetzbares Zeichen“. Ein Token ist eine Art digitale Besitzurkunde. Sie beweist, dass einem zum Beispiel ein digitales Kunstwerk gehört. NFTs können grundsätzlich für alle möglichen digitalen Gegenstände ausgestellt werden.
Konkret heißt das, dass Beltracchi im Zeitraum 2020/21 exakt 4.608 Varianten des „Salvator Mundi“, einem Gemälde da Vincis, erstellte. Diese verkauft er als nicht-kopierbare digitale Einzelstücke. Ein Bild kostet angeblich drei Ethereum, etwa 10.000 Franken. Der Mann hat also nicht nur ein „Goldhändchen“ beim Malen, sondern auch für Trends. Er geht mit der Zeit, wobei die Bezeichnung „nicht kopierbar“ in seinem Fall eine besondere Note hat. In den ersten drei Tagen sollen bereits 280 Versionen des Gemäldes verkauft worden sein. Am Projekt und mithin Erlös sind allerdings auch 20 Programmierer und Kryptoexperten beteiligt. Das Original des «Salvator Mundi» von Leonardo da Vinci wurde 2017 für 450,3 Millionen versteigert und gilt damit als das teuerste Gemälde der Welt. He is Back – ich denke vielmehr, ER war nie weg. Wie zu erwarten, sind einige seiner Bilder heute gerade wegen des Skandals mehr Wert als die vergleichbaren Originale.
Musikalische Beiträge: Fälschungen, Interpretationen, Improvisationen
Auch wenn ein Krimiabend ausdrücklich nicht beabsichtigt war, setzte sich die Veranstaltung natürlich auch musikalisch mit den Themen Original, Interpretation und Fälschung auseinander. Im Rahmen des hervorragend durch Moderator Teriete gelenkten Gespräches, kam an betreffender Stelle doch so manche juristische Problematik und Absurdität zur Sprache. Dabei ist nicht nur von besagtem Campendonk-Bild die Rede, das Beltracchi zum Verhängnis wurde, sondern auch von historischen und aktuellen Klang-, Noten- und Autographenfälschung, wie z.B. die durch Winfried Michels (* 1948) um eine Klaviersonate von Josef Haydn (1732-1809). Ein verloren gegangenes Mittelstück samt handschriflticher Anmerkungen hatte er selbst ersetzt. Enttarnt wurde er einzig durch einen Handschriftenvergleich; das wäre Beltracchi sicher nicht passiert.
Überdies ist von fragwürdigen Urheberrechtsverletzungen die Rede, wobei die Schutzzeit immerhin 70 Jahre beträgt. Insbesondere der anwesende Johannes Schöllhorn konnte anhand eines persönlichen Beispiels zeigen, wie Nutzungsrechte von Komponisten allein durch Copy Rights Abtritt an einen Verlag mißbraucht werden können. Ohne die Umstände hier näher auszuführen, führte es in seinem Fall letztlich dadass daß er heute seine eigene Komposition nicht mehr spielen, sondern nur noch (Radio-)Aufzeichnungen davon erklingen lassen darf. Im Falle des „Ave Verum Corpus“ von Ugo Bindini (*1992) und des wahrscheinlich von des Prez (um 1500) stammenden „Celi enarrant gloriam Dei“ war auch für Experten, geschweige denn Zuschauern kaum mehr zu erkennen, welches Stück tatsächlich aus dem Renaissancezeitalter stammte. Und so weiter; für mehr war der Abend leider zu kurz. Beide Werke waren jedoch hervorragend mit geradezu engelsgleichen Stimmen durch die vier Sänger der Cantorum Basiliensis vorgetragen.
Bereits eingangs hatte Jean-Christophe Dijoux, Professor für Cembalo und Fortepiano an der Hochschule für Musik Freiburg, mit einer Klaviersonate von Haydn auf dem Hammerflügel brilliert.
Bei Halbzeit präsentierte Alfonso Gómez, Professor für Klavier an der Hochschule für Musik Freiburg, Klavierwerke von Pierre Boulez und dem anwesenden Johannes Schöllhorn. Den krönenden Schlußpunkt setzte schließlich Helmut Lörscher (Professor für Improvisation und Angewandtes Klavierspiel an der Hochschule für Musik Freiburg) mit seiner Improvisation durch Zurufe von Zuschauern und der grandiosen Jazzversion einer Haydnkomposition.
Während Beltracchi in der Künstlichen Intelligenz (KI) durchaus eine Gefährdung für Komposition und die Darstellende Kunst sieht, sind seine Gesprächspartner eher optimistisch durch KI – zumindest in nächster Zeit – nicht die Oberhand des kreativen Komponierens zu verlieren. Wem, welche Rechte dann an einer mittels KI erstellten Komposition zustehen, dürfte zu weiteren juristischen Auseinandersetzungen führen.
Auch ohne Musik- oder Kunstexperte zu sein, sorgte die eigentlich wissenschaftlich angelegte Veranstaltung für zwei sehr kurzweilige Stunden mit so manchem pointenreichem Lacher. Viele Probleme konnten freilich nur angerissen werden, erlaubten aber einen anschaulichen Eindruck in die Thematik.
Als der letzte Beifall verklungen war, brauchte ich allerdings einen Moment, um aus dieser hoch spezialisierten „Künstlerblase“ heraus wieder in die reale Welt zurückzufinden. Beltracchi spendet seine Auftrittshonorare übrigens stets und ganz real für einen guten Zweck. Mein Dank geht an Herrn Klaußner von der Hochschule für Musik für die Einladung sowie an Helene und Wolfgang Beltracchi für das freundliche Gespräch im Vorfeld der Veranstaltung. Sich von ihm malen zu lassen, würde definitiv meine „Portokasse“ sprengen. Umso mehr habe ich mich über eine spontan gemalte kleine Skizze samt Signet auf einem Kunstdruck-Shirt seiner Kollektion gefreut, das ich schon seit zwei Jahren besitze. Ein echter Beltracchi also, den ich wohl rahmen werde.
Will man Wolfgang Beltracchi, der von sich selbst sagt nicht besonders musikalisch zu sein, und die Musik einmal zusammenführen, könnte ich mir ein Musical über sein Leben vorstellen. Es wäre mir eine Ehre, dann wieder in der ersten Reihe dabei zu sein.