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Ausstellungstipp: Edvard Munch – Zauber der Moderne. Berlinische Galerie

Edvard Munchs (1863–1944) radikale Modernität der Malerei forderte seine Zeit heraus. Das galt insbesondere für die Berliner Kunstszene um die Jahrhundertwende, auf die der norwegische Symbolist großen Einfluss nahm.

Die Ausstellung „Edvard Munch. Zauber des Nordens“ ist eine Kooperation mit dem MUNCH in Oslo und erzählt anhand von 90 Werken aus Malerei, Grafik und Fotografie von der Beziehung zwischen dem norwegischen Maler und Berlin.

Thomas Köhler, Direktor Berlinische Galerie: „Edvard Munch war ein zentraler Wegbereiter der Moderne. Was viel zu wenig bekannt ist: Der norwegische Künstler hatte großen Einfluss auf die Berliner Kunstszene Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts. Ein Kunstskandal verhalf ihm 1892 zu erstem Ruhm und schließlich richtete ihm die Nationalgalerie Berlin 1927 die bis dahin größte Retrospektive aus. Es ist eine einmalige Gelegenheit, Munchs hochkarätige Werke in dieser Fülle zeigen zu können.“

Tone Hansen, Direktorin MUNCH: „Deutschland war für Edvard Munch das Land seines künstlerischen Durchbruchs und wurde zu einem wichtigen Ort für den Verkauf seiner Werke. Heute ist die Kulturstadt Berlin ein wichtiger Partner für Norwegen. Wir sind unheimlich stolz auf Munchs großartige Rückkehr in Form dieser erstklassig kuratierten Ausstellung. Wir freuen uns auf die weitere Zusammenarbeit unserer beiden Institutionen und hoffen, dass die Ausstellung ein noch stärkeres Interesse an norwegischer Kunst hervorbringen wird.“

Die „Affaire Munch“

Die Begeisterung für alles Nordische hatte Ende des 19. Jahrhunderts die Reichshauptstadt Berlin erfasst. „Die Besten Deutschlands, die ganze schöpferische Literatur um die Jahrhundertwende verfiel damals dem magischen Zauber des Nordens“, erinnerte sich der Schriftsteller Stefan Zweig 1925. Die Faszination erstreckte sich auch auf die bildende Kunst und war ein Anlass, den damals weitgehend unbekannten Munch für den November 1892 zu einer Einzelausstellung in den Verein Berliner Künstler einzuladen. Vorgeschlagen hatte ihn sein in Berlin und Norwegen ansässiger Landsmann Adelsteen Normann, der selbst auf populäre Fjordlandschaften spezialisiert war, die sich sehr gut verkauften – unter anderem an Kaiser Wilhelm II.

Die Berliner Kunstszene zu Beginn der 1890er-Jahre war noch wenig progressiv. Sie wurde von einem auf Repräsentation und Tradition ausgerichteten Kunstgeschmack beherrscht, befördert von Kaiser Wilhelm II. und dem einflussreichen Maler Anton von Werner, der dem Verein Berliner Kaufleute vorstand. Die 55 Werke Munchs, die im Architektenhaus in der Wilhelmstraße präsentiert wurden, waren für Berlin so avantgardistisch und fremd, dass sie wie ein Meteorit in die Kunstwelt einschlugen und diese spalteten. Etablierte Mitglieder des Vereins empörten sich und stellten den Antrag auf sofortige Schließung. Nur wenige Tage nach ihrer Eröffnung musste die Schau wieder abgebaut werden. Mit der „Affaire Munch“, wie die zeitgenössische Presse den Skandal ironisierte, begann in der Stadt die Moderne. Munch, zu dem Zeitpunkt noch keine dreißig Jahre alt, genoss die unerwartete Publicity. Er schrieb nach Hause: „Das ist übrigens das Beste, was passieren kann, bessere Reklame kann ich gar nicht haben.“ Umgehend zog er an die Spree, wo er von 1892 bis 1908 immer wieder für längere Zeit lebte und arbeitete, bevor er sich ab 1909 in Norwegen niederließ.

Munchs frühe Berliner Jahre

Während Berlin Ende des 19. Jahrhunderts sehnsuchtsvoll nach Norden blickte, übte die moderne Reichshauptstadt auch umgekehrt großen Reiz auf nordische Länder aus. Henrik Ibsen, August Strindberg oder Ola Hansson, deren Werke in ihrer skandinavischen Heimat scharf kritisiert oder zensiert wurden, fanden in Berlin Nischen und Möglichkeiten zu publizieren oder ihren Stücken, vor allem über den Verein Freie Bühne, ei Publikum zu verschaffen. Bildenden Künstler*innen bot Berlin zahlreiche Ausstellungsmöglichkeiten. Die schillernde Boheme traf sich damals in der Weinstube „Zum schwarzen Ferkel“.

Adolf Paul, ein deutsch-schwedisch-finnischer Schriftsteller, der um die Jahrhundertwende zum engeren Kreis um Edvard Munch und August Strindberg gehörte, spitzte bezogen auf Munchs frühe Berliner Jahre zu: „Die Künstler schwören alle auf Paris, und sie mögen recht haben. Aber einen Schuß Berlin müssen sie – muß ihre Kunst haben, um recht zu gedeihen. […] Von Munch, der in Paris lernte, aber in Berlin wurde!“

In der Tat hielt sich Munch ab 1889 auch mehrfach in Paris auf und studierte dort die Werke der Avantgarde, etwa von Paul Gauguin, der Künstlergruppe Nabis oder von Vincent van Gogh. Während in Paris der Symbolismus eine zentrale Rolle spielte, dominierten in Berlin um 1900 noch die Strömungen des Naturalismus und Impressionismus, und es fehlte zunächst an Verständnis für Munchs symbolistische „Malerei der Zukunft“, wie der Künstler sie selbst einmal nannte. Jedoch brachte Munch im Laufe der Jahre seine Karriere an der Spree entscheidend voran. Er war unter anderem Mitglied der Berliner Secession, des Deutschen Künstlerbunds und später auch der Preußischen Akademie der Künste. Obwohl Munchs Werke mittlerweile in vielen internationalen Schauen zu sehen waren, blieb Berlin für ihn mit rund sechzig Ausstellungen zwischen 1892 und 1933, darunter viele Einzelpräsentationen, einer der wichtigsten Orte in Europa. Hier fand er progressive Intellektuelle, die sein Werk schätzten und förderten.

„Leben – Liebe – Eifersucht – Wahnsinn – Angst – Tod“

Berlin gab Munch auch den Raum, neue Ideen auszuprobieren. Bereits 1889 hatte er in Frankreich erste Notizen zu seinem späteren Hauptwerk gemacht, den erst im Rückblick sogenannten „Lebensfries“. Unter dem Titel „Studie zu einer Serie ‚Die
Liebe‘“ zeigte er seine Werke erstmals als zusammenhängende Bildfolge in einer Ausstellung, für die er im Winter 1893/94 zwei Räume in einem Geschäftshaus Unter den Linden angemietet hatte – eine Strategie, die er 1895 in der Berliner Galerie Ugo Barroccio wiederholte.

Diese für sein Werk essenzielle Idee erweiterte er 1902 in einer Ausstellung der Berliner Secession zur bisher umfangreichsten „Darstellung einer Reihe von Lebensbildern“. Die Themen kreisten um „Leben – Liebe – Eifersucht – Wahnsinn – Angst – Tod“, so Munchs Freund Albert Kollmann. In dieser Variante umfasste der Fries 22 Werke und wurde im Skulpturensaal der Secession über alle vier Wände präsentiert. Für das in Berlin noch wenig mit dem Symbolismus vertraute Publikum war es jedoch zu früh, Munchs Position schätzen und würdigen zu können. Der Kunstkritiker Hans Rosenhagen bedauerte in der Zeitschrift „Die Kunst für alle“: „Sie erkennen nicht, dass hier durch die Vereinigung von brutaler nordischer Farbenlust, Anregungen Manets und Neigung zur Träumerei etwas ganz Eigenartiges entstanden ist.“

Weitere Varianten und Frieskonzeptionen sollten folgen. Für seinen Förderer, den Lübecker Kunstsammler Max Linde, malte Munch 1904 in Berlin den sogenannten Linde-Fries als zusammenhängende Dekoration. 1906 entwickelte er für den Berliner Theatermann Max Reinhardt Bühnenentwürfe zu Ibsens Drama „Gespenster“. Außerdem erhielt er von diesem den Auftrag zur Dekoration eines Festsaals im ersten Obergeschoss der Kammerspiele, die heute als Reinhardt-Fries bekannt ist. 1913 feierte der Maler in der Berliner Secession einen großen Erfolg mit Studien für seinen monumentalen Fries zur Ausschmückung der Aula der Universität in Kristiania (heute Oslo). Die Arbeiten wurden von der Berliner Presse fast durchgängig gut besprochen. Munchs Präsenz in der Kunstszene Berlins veränderte die Vorstellung vom Norden. Statt mit romantischen oder naturalistischen Fjordlandschaften verband man damit nun seine emotional verdichteten, farbgewaltigen Bildwelten.

Munch im Nationalsozialismus

Munchs Einfluss auf die folgende Generation des Expressionismus wurde ab 1910 breit in Berlin thematisiert. Vor dieser Folie avancierte er zum Klassiker. Damit einher ging die zunehmende Vereinnahmung als „germanischer“ Künstler. Ludwig Justi, Leiter der Nationalgalerie in Berlin, richtete Munch 1927 im Kronprinzenpalais die bis dahin umfangreichste museale Einzelschau aus. Mit dieser Ausstellung repräsentierte sein Name in Berlin und Deutschland „das spezifisch nordische Weltgefühl“, wie in der Presse zu lesen war.

Nach der Machtübernahme der Nationalsozialist*innen wurde Munchs Kunst als „nordischgermanisch“ instrumentalisiert, aber auch schon früh als „entartet“ diffamiert. Zehn Jahre nach seinem Triumph in der Nationalgalerie wurden im Rahmen der Aktion „Entartete Kunst“ 83 seiner Werke aus öffentlichen Sammlungen beschlagnahmt. Nach der Besetzung Norwegens am 9. April 1940 durch deutsche Truppen verfasste der 76-Jährige sein Testament und vermachte alle Arbeiten, auch den schriftlichen Nachlass, der Stadt Oslo. Er hegte die Hoffnung, auf diese Weise seinem „Lebensfries“ einen Ort zu geben und die Werke einem großen Publikum zugänglich zu machen.

Munch gilt heute als einer der bedeutendsten Vertreter der europäischen Moderne. Seine Kunst weist über die eigene Zeit hinaus und beeinflusst aufgrund der ungebrochenen Aktualität seiner Themen und seiner Malerei nach wie vor die internationale
Kunstszene. Zugleich haben Munchs Werke eine neue Sicht auf den Norden ermöglicht, den wir mit seinem Licht, seinen Farben und der für seine Werke charakteristischen Melancholie verbinden.

Die Ausstellung umfasst rund 80 Werke von Edvard Munch, ergänzt durch Werke anderer Künstler, die Ende des 19. Jahrhunderts in Berlin die Vorstellung vom Norden sowie die moderne Kunstszene an der Spree geprägt haben, darunter Walter Leistikow oder Akseli Gallen-Kallela.

Berlinische Galerie

Alte Jakobstraße 124–128
10969 Berlin

Öffnungszeiten

Mo, Mi, Fr, Sa, So 10 – 18 Uhr
Do 10 – 20 Uhr (ab 17 Uhr ermäßigter Eintritt)

Ticketpreise

Erwachsene € 15,00

Mehr Informationen: berlinischegalerie.de.

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Eine Antwort

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